Kassandra von James Sutherland
Kassandra von James Sutherland

Kassandra von James Sutherland

Die Frau, der niemand Glauben schenkt

„Wir können, was wir sehen, noch nicht glauben. Was wir schon glauben, nicht aussprechen.“

aus dem Buch Kassandra von Christa Wolf

Was tut man, wenn man weiß, dass das schlimmste kommt, aber niemand einem glaubt? Das ist das Leben von Kassandra. Sie ist eine Seherin und kann daher die Zukunft vorhersehen. Es gibt viele unterschiedliche Versionen über diesen griechischen Mythos, vor allem wenn es darum geht wie sie zu ihrer Gabe kam. Die bekannteste Variante lautet wie folgt: Als Kassandra sehr jung war, verliebte sich Apollon, der Gott des Lichts, der Heilung und der Weissagung in sie, weshalb er sie mit der Gabe der Weissagung versieht. Als sie jedoch seine Zuneigung ablehnt, verflucht er sie dazu, dass niemand ihren Vorhersagungen Glauben schenken wird, auch wenn sie immer richtig sind. Das Stück setzt nach dem Untergang Trojas ein. Kassandra ist das Lieblingskind ihres Vaters und hat deshalb im Gegensatz zu anderen Frauen mehr politische Freiheiten wie zum Beispiel das Amt der Priesterin, doch sie merkt schnell, dass die Menschen ihren Worten keinen Glauben schenken wollen. Sie prophezeit den Untergang Trojas, doch niemand möchte ihr Gehör schenken. Ihr Vater zwingt Kassandra jedoch zu einer Heirat, als ein Verbündeter ihres Vaters sie als Lohn verlangt.

Kassandra wurde uraufgeführt im Pfalztheater Kaiserslautern am 22.02.2022. Die Dauer beträgt ungefähr zwei Stunden und beinhaltet eine Pause.

Das Stück enthält eine Doppelbesetzung der Figur Kassandra, zum einen von einer Schauspielerin (Nina Schopka), die das Stück mit ihren kurzen und präzise ausgewählten Sätzen begleitet, zum anderen zusammen mit der tänzerisch verkörperten Kassandra (Camila Marcati). So versuchen sie in einem Zusammenspiel aus den bereits erwähnten Sätzen und Tanz der Bevölkerung klar zu machen, dass dieser Krieg ihr Untergang sein wird. Nach der Zwangsheirat mit Eurypylos (David Benigini) durch ihren Vater (Mun-Ho Cha) bleibt Kassandra standhaft, sie lässt sich und ihren eisernen Willen nicht brechen, auch als ihr Gemahl versucht auf grausame Art und Weise klein zu halten. Der Mythos endet mit dem Tod von Kassandra, doch James Sutherland (Choreograf) hat ein anderes Ende vorgesehen. Er greift einen im Mythos vorkommenden Part auf. Es endet damit, dass Kassandra an einen Ort kommt an dem sie glücklich ist. Sie fühlt sich frei und sorglos. Im letzten Moment bedeckt die sprechende Kassandra ihren tänzerischen Gegensatz mit grauem Schlamm. Sie soll somit als Statue eine ewige Erinnerung daran sein, wie schrecklich der Krieg ist. 

Ihr Glück an diesem Ort wird durch das warme gelbliche Licht, welches die Bühne vollkommen erhellt noch unterstrichen, denn zuvor war das Licht im ganzen Stück ein weißliches und kaltes Licht. Nur in der Szene, in der der Krieg tobt, gibt es zusätzlich zwei grelle Lichtblitze durch den Lichttechniker (Harald Zidek). Auch das Bühnenbild ist sehr minimalistisch, es besteht im ersten Teil nur aus vier großen, roten Säulen, mit einer Öffnung aus der zu Beginn verschiedene Charaktere treten. Diese liegen und hängen später im Bühnenbild verteilt. Im zweiten Teil kommt ein Halbkreis aus Steinen hinzu (Yoko Seyama). An manchen Stellen des Stückes wird  an der hinteren Wand ein schwarz weiß Video an die Wand projiziert, bestehend aus vielen kleinen ca. 2-3 Sekunden Videos, mit z.B. Kriegsszenen (Huy Tien Tran), eine sehr lobenswerte Idee, da sie das Thema, dass James Sutherland hervorheben möchte, unterstreicht, nämlich das Krieg auch in Anbetracht der aktuellen Situation, etwas schreckliches ist. Das erste Auftauchen des Videos ist sehr passend, da die Tänzer regungslos auf ihren Positionen stehen, während der Clip im Hintergrund läuft. Beim zweiten Einspieler kann man durch die zusätzlich durcheinander tanzenden Tänzer weder diesen noch dem kurzen Videoclip folgen. Das wilde Geschehen wirkt somit überfordernd, da man nicht alles wahrnehmen kann. 

Die Musikauswahl ist sehr passend, sie unterstreicht die jeweiligen Szenen. Bei der Darstellung des Krieges klingt die Musik zum Beispiel wie laute Sirenen. Auch wenn man dem Kontext nicht gut folgen konnte, erleichterte die Musik das Verstehen an einigen Stellen erheblich. Das Live-Orchester spielt von Alfred Schnittke concerto Grosso No.1 über Michael Gordon Dacsia Part 6 und György Ligety Ramifications bis hin zu Fantasia on a Theme by Thomas Tallis von Ralph Vaughan Williams. Hervorzuheben ist der makellose Einsatz des Live-Orchesters.

Die Kostüme (Rosa Ana Chanza) sind sehr schlicht, sie bestehen aus einer Hose und einem Oberteil, mal in kurz mal in lang. Die Farben sind dunkelblau und schwarz gehalten. Nur am Ende trägt die tanzende Kassandra ein kurzes, hautfarbenes Outfit, bevor sie mit dem Schlamm bedeckt wird. Als einziges weiteres Kostenelement gibt es vier Helme, die von Kassandras Gatten und seinem „Gefolge“ getragen werden. Es wäre wünschenswert, dass so wie Eurypylos auch andere Charaktere ein Kostümelement hätten, dass gezeigt hätte wen sie darstellen. Vor allem von etwas weiter weg war es umständlich schwarz und dunkelblau voneinander zu unterscheiden, was bei mehreren Darstellern gleichzeitig auf der Bühne zu Verwirrung führt. 

Die Stimme der sprechenden Kassandra ist oftmals durch Akustik und undeutliches Sprechen sehr unverständlich. Diese Aspekte sind sehr kontraproduktiv für das Verstehen der Handlung, da es durch die „Sprache des Tanzes“ ohnehin schon schwer zu verstehen ist. Daher würde ich jedem, dem das Stück interessiert raten, sich vorher über den Mythos und das Geschehen im Stück zu informieren. 

„Tanz muss man wie ein Bild betrachten – das muss dir auch keine Geschichte erzählen.“ So lauteten die Worte des Tanzdirektors Mainz. Daher sollten Neulinge sich nicht von der Sprache des Tanzes abschrecken lassen, weil es bei dieser Sprache um die Gefühle geht, die in einem individuell ausgelöst werden. 

Und in diesem Stück werden definitiv Emotionen ausgelöst, da die tänzerische Leistung bis auf wenige Asynchronitäten tadellos ist. Gerade durch das tänzerische Engagement und die bewundernswerte Körperspannung ist ihnen eine perfekte Ausführung jeglicher Bewegungen möglich. Besonders bei den Szenen, in denen Kassandra mit ihrem ungewollten Gatten auf der Bühne performt, wird die angespannte Stimmung sehr gut transportiert. 

Abschließend kann man sagen, dass trotz mancher Unverständlichkeiten, eine dynamische Atmosphäre herrscht, die jeden Zuschauer auf seine eigene Art und Weise berührt. 

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