Was die Amsel mit dem Tod verbindet
Im Rahmen der Theatertage Mainz wurde die Stückentwicklung „Sensemann & Söhne“ des Regisseurs und Autors Jan Neumann am Sonntag (erneut) auf die Bühne gebracht. Die Koproduktion des Staatstheater Mainz und Nationaltheater Weimar setzt sich mit dem Leben, Tod und dem Umgang der Gesellschaft mit dem Sterben auseinander. Dabei gelingt es dem fünfköpfigen Ensemble mit Leichtigkeit, die Balance zwischen heiterer und tiefgründiger Auseinandersetzung mit diesem brisanten Thema zu finden.
Fröhliches Vogelgezwitscher klingt durch den Saal, während die Zuschauenden gebannt auf den Beginn der Vorstellung warten. Später wird sich herausstellen, dass der Vogel ein Leitmotiv dieses Stücks ist, stellt er doch perfekt den Kreislauf des Lebens und Sterbens dar. Das meint jedenfalls der Pfarrer (brilliant gespielt von Henner Momann), der mithilfe einiger Tetra Packungen Messwein verzweifelt versucht, eine Trauerrede für eine kürzlich verschiedene Dame zu schreiben. Anne-Marie Schmidt lautet ihr Name und alle auftretenden Personen haben oder hatten beruflich mit ihr zu tun.
Da wäre zum Beispiel der Arzt (Max Landgrebe), der mit dem weißen Hemd, dessen Ärmel er lässig nach oben gekrempelt hat, der Strickjacke, locker über die Schultern geworfen, der großen Piloten-Sonnenbrille und einem schleimigen Lächeln schrecklich schnöselig wirkt (Kostüme von Nini von Selzam). Er muss den Totenschein der Verstorbenen ausfüllen.
Der Bestatter Herr Hensemann – oder Sensemann?!- überträgt wiederum seiner Tochter Steffi (Isabel Tetzner) die Aufgabe, die Aufbahrung der Toten zu übernehmen. Diese kommt ihrer Pflicht sehr gewissenhaft nach, denn sie besitzt ein Repertoire an Erfahrung, Übung und allen nur erdenklichen Fortbildungen auf diesem Gebiet. So marschierte sie tage- und nächtelang über den Wadi Al-Salam Friedhof, dem größten Friedhof der Welt, wohnte Bestattungszeremonien in Afrika und Asien bei und ist sogar ausgebildete Trauerredenschreiberin.
Ihr Vater selbst (Sebastian Kowski) möchte sich mit seinem eigenen Ende nicht befassen, will kein Testament schreiben und verweigert seiner besorgten Tochter jede Auskunft darüber, wann „Schluss“ sein soll.
Um sich nach deren hitzigen Gespräch abzuregen und seinen Hunger zu stillen, geht er in ein Wirtshaus, wo eine- zu Herr Hensemanns Leidwesen- etwas tollpatschige und eindeutig überforderte Kellnerin (Anika Baumann) arbeitet. Frau Schmidt war übrigens ein treuer Gast dieses Lokals.
Nach einer gelungenen Musical-Einlage, bei der die Kellnerin ihre Frustration über „das Müssen“ zum Ausdruck bringt, wird sie den Zuschauenden von ihren Erfahrungen im Hospiz berichten, insbesondere dass jeder anders mit den letzten Tagen seines Lebens umgeht.
Das gleiche Fingerspitzengefühl, das Steffi Hensemann beim Trauerredenschreiben an den Tag legt, beweist der Regisseur in Zusammenarbeit mit dem Ensemble: Womöglich liegt es an der Vorarbeit, die diese geleistet haben. Führungen im Krematorium oder der Ausflug in die Trauerrednerakademie in Rödelheim haben sich offenbar ausgezahlt.
Es sind gerade auch die feinen Details, die dieses Stück bereichern. So zum Beispiel der täuschend echte Akzent und die Mentalität der amerikanischen „Leichen-Visagistin“, die zwar nur einen sehr kurzen, dafür aber prägnanten Auftritt hatte. Oder wie abseits des Hauptschauplatzes, nämlich dem bewegenden Gespräch zwischen dem Arzt und seiner Jugendliebe, eine Frau am Töpfertisch ein Baby aus Ton formt, dieses aber einstampft, als die Szene abermals wechselt.
Auch ist die Dynamik, wenn sich alle Schauspieler gleichzeitig auf der Bühne befinden, großartig. Wie sie sich gegenseitig das Wort zu spielen und am Anfang des Stücks beeindruckende und belustigende Daten und Fakten zu Anne-Marie Schmidts Leben und Tod preisgeben.
Das Bühnenbild von Matthias Werner erinnert an eine Mischung aus Werkstatt, Fabrik, Naturkunde- und Kunstmuseum, Statuen und Büsten stehen in den Regalen, die Kellnerin bereitet im Abendkleid Gips zu.
Szenenwechsel erfolgen geschmeidig, passend untermalt von elektronischen Klängen des Musikers Johannes Winde. Sie geben den Zuschauenden kurz Zeit, Gesehenes und Gehörtes zu verarbeiten und einzuordnen.
Das Stück endet, wie es begonnen hat: Mit Vogelgezwitscher. Das Publikum klatscht minutenlang Beifall, sodass die exzellenten Darsteller mehrmals nach vorne kommen und sich verbeugen.
Zum Glück sind noch zwei weitere Vorstellungen geplant- am 09.04. und 16.04. 2022.